EINZELAUSGABE
Vol. 25 (2018)
No. 4 [N.F. 100]
Inland € 29,75
Ausland € 31,75
Editorial
Inhalt
Vol. 25 (2018), No. 4, N.F. 100
SERVIERVORSCHLAG Eine Verpackung stellt nicht nur einen Schutz dar, der Waren bei Transport und Lagerung vor schädlichen Einwirkungen bewahrt, sondern ist zugleich zu einem wesentlichen Informations- und Werbeträger geworden – und so auch zu einem Ort für fotografische Bilder.
LEBENS- UND ALTERSWAHRE BILDNISSE Zwischen 1900 und 1917 sammelte Wilhelm Weimar, Wissenschaftlicher Assistent am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG), rund 400 Daguerreotypien für die fotografische Sammlung.
FOTOGRAFIEN BEWERTEN Obgleich mit der Erfindung des Negativ-Positiv-Verfahrens die Fotografie alsbald potenziell endlos, in jedem Fall massenhaft reproduzierbar wurde, sind bestimmte Objekte dennoch äußerst selten in Sammlungen vertreten.
EDITORIAL
Hubert Locher
100! (S. 1)
INHALT
EIN BILD
Jens Ruchatz
„Serviervorschlag“: Fotografie im Potentialis (S. 4–8)
MEDIENGESCHICHTE
Steffen Siegel
Die größte Fotomontage der Welt: Ästhetische Ordnungen in Google Street View (S. 8–20)
Hubert Locher
Das Fotobuch als Medium ästhetischer Kritik: Peter Blakes „God’s Own Junkyard“ (1964) (S. 21–34)
BEstände
Marjen Schmidt und Sven Schumacher
„Lebens- und alterswahre Bildnisse“: Zur Sammlung und Restaurierung der Daguerreotypien im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (S. 35–48)
AusstellungenStefanie Stallschus
Bei Einbruch der Dunkelheit: Eine umfangreiche Ausstellung im Museum of London widmet sich dem Mythos der Großstadtnacht (S. 49–56)
Berichte
Sonja Feßel
Fotografien bewerten: Zum Workshop „Was bleibt vom Massenphänomen Fotografie? Auswahl – Abwehr – Akquise“, Köln, 10.–12. Oktober 2018 (S. 56–61)
Literatur
Rezensionen
Vom kommerziellen Produkt zum öffentlichen Kulturgut: Die Umwertung von analogen Pressefotografien im Zeitalter der digitalen Bilder (Kurt Deggeller) (S. 62–65)
Neu eingegangen
Zeitschriftenauswertung
Fortbildung
Call for Papers
Termine
IMPRESSUM
ABSTRACTS
DIE GRÖSSTE FOTOMONTAGE DER WELT
Ästhetische Ordnungen in Google Street View
In medientheoretischer Hinsicht ist die ästhetische Ordnung von Google Street View bislang unterbestimmt geblieben. Dies gilt vor allem für eine fotografische Form, die im Mittelpunkt dieser Internet-Anwendung steht. Zusammengesetzt aus einer nicht auszählbaren Menge fotografischer Aufnahmen, öffnet sich hier ein virtueller Erfahrungsraum aus lauter fotografischen Oberflächen. Im vorliegenden Artikel wird vorgeschlagen, ihn als die weltweit größte Fotomontage zu betrachten. Die für die Anwendung von Google Street View wesentlichen Praktiken von Navigation und Orientierung beziehen sich auf ein montiertes Simulakrum, das den Kern einer tradierten fotografischen Ästhetik und hiermit verbundener Praktiken von Aufzeichnung und Erfassung, Sammlung und Archivierung gleichermaßen beerbt wie herausfordert.
DAS FOTOBUCH ALS MEDIUM
ÄSTHETISCHER KRITIK
Peter Blakes „God’s Own Junkyard“ (1964)
Das Buch „God’s Own Junkyard“ des Architekturkritikers und Fotografen Peter Blake erschien erstmals 1964. Ein breites Publikum sollte damit auf die angebliche Verschandelung der amerikanischen Landschaften und Siedlungen durch das von kommerziellen Interessen geleitete Baugewerbe hingewiesen werden. Im Folgenden wird dargelegt, wie im konkreten Fall die Fotografie in Verbindung mit einem pointiert und polemisch formulierten Text als Mittel der Argumentation und Beweisführung verwendet wird. Das Buch wird als authentischer und zeittypischer Beitrag zum Architekturdiskurs gelesen, in dem die Fotografie auf der Höhe der Diskussion eingesetzt wird. Fotografie erscheint als Medium der ästhetischen Analyse und Kritik von Architektur, deren Aufgabe nicht als Errichten von Gebäuden, sondern als Umweltgestaltung verstanden wird.
„LEBENS- UND ALTERSWAHRE
BILDNISSE“
Zur Sammlung und Restaurierung der Daguerreotypien
im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Zwischen 1900 und 1917 sammelte Wilhelm Weimar, Wissenschaftlicher Assistent am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG), rund 400 Daguerreotypien für die fotografische Sammlung. Seine eigene fotografische Tätigkeit hatte ihn angeregt, zur Geschichte des Mediums und zur Daguerreotypie in der Hansestadt zu forschen. Einen Schwerpunkt legte er auf Werke von Herrmann Biow und Carl Ferdinand Stelzner, die er seinen Zeitgenossen als Vorbilder für qualitätvolle Porträtfotografie empfahl. Durch die Zersetzung der Deckgläser war der Bestand der Daguerreotypien, der als Keimzelle der fotografischen Sammlung des Museums gelten muss, akut bedroht. Neben bekannten Schadensbildern, wie defekten Versiegelungen und Anlauffarben, war das Phänomen der glasinduzierten Metallkorrosion zu beobachten, das zu Ausblühungen auf den Platten führte. In den letzten Jahren konnten 250 Daguerreotypien gereinigt und unter Verwendung originaler Passepartouts und Etuis mit Borosilikatglas und säurefreiem Material ohne alkalische Reserve neu gefasst und für die Zukunft gesichert werden.
BEI EINBRUCH DER DUNKELHEIT
Eine umfangreiche Ausstellung im Museum of London
widmet sich dem Mythos der Großstadtnacht
Die nächtliche Großstadt als ein Ort des Abenteuers gehört zu den Mythen der Moderne. Der Fotografie hat die Großstadtnacht nicht nur stimmungsvolle Motive geliefert, sondern auch Anlässe zur Reflexion des fotografischen Bildes und seiner Voraussetzungen geboten. Eine große Ausstellung in London versammelt über 200 Fotografien vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, in denen die Nachtseite der britischen Metropole in Szene gesetzt wird. Die eingängige Mischung aus dokumentarischer, inszenierter und konzeptueller Fotografie, ergänzt um mehrere Videoinstallationen, erzählt vom Wandel der Stadt ebenso wie von der Entwicklung des Genres. Innovativ ist der Ansatz der Ausstellung, die Alterität der Großstadtnacht im Verhältnis zu geschlechtlichen und kulturellen Differenzen zu thematisieren.
ENGLISH ABSTRACTS
THE LARGEST PHOTOMONTAGE
IN THE WORLD
Aesthetic Orders in Google Street View
In terms of media theory, the aesthetic order of Google Street View has to date remained under-determined. This is true above all as regards its photographic form, which actually constitutes the heart of this Internet application. Compiled from an innumerable number of photographic images, a virtual space opens up consisting exclusively of photographic surfaces. The current article suggests that it be considered as the largest photomontage worldwide. The key practices of navigation and orientation applied when using Google Street View refer to a simulacrum that is the product of montage – and thus both inherits and challenges the core of traditional photographic aesthetics and the related practices of recording and grasping, collecting and archiving.
THE PHOTOBOOK AS A MEANS OF
AESTHETIC CRITICISM
Peter Blake’s “God’s Own Junkyard” (1964)
“God’s Own Junkyard” by architecture critic and photographer Peter Blake was published for the first time in 1964. Its aim was to draw the general public’s attention to the ostensible destruction of the American countryside and towns by a construction industry guided by commercial interests. I intend to demonstrate how, in this specific case, photography is married with a trenchant text with a polemic thrust to present an argument and then prove a point. The book can be seen as a genuine contribution to the architectural discourse of its day, one that is also typical of that era, with photography playing a cutting-edge role. Photography is used as a medium for the aesthetic analysis and criticism of an architecture out of a belief that architecture should not simply erect buildings but shape the surrounding environment.
“LIFE-TRUE AND
AGE-TRUE PORTRAITS”
On the Collection and Restoration of
Daguerreotypes in the Museum of Arts and Crafts Hamburg
Between 1900 and 1917, Wilhelm Weimar, scientific assistant at the Museum of Arts and Crafts Hamburg (MKG), gathered around 400 daguerreotypes for the photographic collection. His own photographic activity had inspired him to research the history of the medium and the daguerreotype in the hanseatic city. He focused on works by Herrmann Biow and Carl Ferdinand Stelzner, which he recommended to his contemporaries as role models for quality portrait photography. These daguerreotypes, which must be regarded as the nucleus of the museum’s photographic collection, were acutely threatened by decomposition of the cover glasses. In addition to the known symptoms of damage such as defective sealing and heat tinting, the phenomenon of glass-induced metal corrosion, which led to efflorescence on the plates, was observed. In recent years, 250 daguerreotypes have been cleaned, treated and reset using borosilicate glass and acid-free material without an alkaline reserve as well as original mats and cases, thereby protecting them for the future.
LONDON NIGHTS
A Comprehensive Exhibition at the Museum
of London is Devoted to the Myth of Night in the City
The nighttime city as a place of adventure is a modernist myth. The nocturnal city has not only provided photography with atmospheric motifs; it has also supplied a framework for reflecting on the photographic image and its conditions. A major exhibition in London assembles more than 200 photographs dating from the end of the 19th century to the present day, images that shine a light on the UK capital at night. Its accessible mixture of documentary, staged and conceptual photographs, complemented by several video installations, not only tells of the changes that the city has been through, but also says a great deal about the development of the genre. The approach taken by the exhibition is innovative, juxtaposing the otherness of night in the city with differences of a sexual and cultural nature.