EINZELAUSGABE
Vol. 26 (2019)
No. 4 [N.F. 104]
Inland € 31,50
Ausland € 33,75
Editorial
DÜSSELDORF UND DIE „TABLEAU-FORM“
Inhalt
Vol. 26 (2019), No. 4, N.F. 104
SUBSTANZ UND BILD DER LANDSCHAFT Der Beitrag behandelt das epistemische Potenzial gegenwärtiger Landschaftsfotografie am Beispiel des Werks von Fernando Cordero (*1958), mexikanischer Landschafts- und Architekturfotograf, dessen analog aufgenommene Bilder das Nachdenken über die Zivilisationsschäden im Anthropozän anregen.
DIE ZEITSCHRIFT „FOTOGRAFIE“ ALS PLATTFORM EINES FOTOGRAFISCHEN NEUBEGINNS Die Historisierung und Vermessung der künstlerischen Fotoszene „um 1980“ ist seit 2014 kuratorisches Thema. Während das Braunschweiger Ausstellungsprojekt „Schöne Neue BRD? Autorenfotografie der 1980er Jahre“ politische Leitlinien einer Neuverortung der künstlerischen Dokumentarfotografie [...] und die lose Verknüpfung unterschiedlicher Zentren und Akteure präsentierte, zeigte das Museum Ludwig [...] mit „Um 1979. Unbeugsam und ungebändigt“ die internationale Veränderung des ‚Dokumentarischen‘ auf.
EDITORIAL
Hubert Locher
Düsseldorf und die „Tableau-Form“
(S. 1)
INHALT
EIN BILD
Jule Schaffer
Eintauchen ins Bild- und Gedankenmosaik: Boris Becker, „Grieger“, 2012
(S. 4–7)
MEDIENGESCHICHTE
Ursula Renner
Jeff Walls „The Giant“ als Lese(r)fantasie
(S. 8–20)
Peter Krieger
Substanz und Bild der Landschaft: Ökokritische Impulse und geo-ästhetische Dimensionen im Werk des mexikanischen Gegenwartsfotografen Fernando Cordero
(S. 21–29)
MATERIALITÄT
Michiel Kort
Transferring the Pellicle: An Experience Report on the Remedial Treatment of Acetate Negatives
(S. 30–34)
AUSSTELLUNGEN
Philipp Freytag
Stadtgeschichte als Bildgeschichte: Zur Ausstellung eines Bestands fotografischer Bürgerporträts des 19. Jahrhunderts im Stadtmuseum Dresden
(S. 34–39)
Gisela Parak
Die Zeitschrift „Fotografie“ als Plattform eines fotografischen Neubeginns: Zur Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
(S. 40–46)
BerichteTage des Denkmals bei der Association Cibachrome in Marly
(S. 47/48)
Julia Rössel
Daten hoch 7: Zur prometheus-Tagung an der Universität zu Köln, 1./2. Oktober 2019
(S. 49–51)
Literatur
Rezensionen
Rolf Sachsse
Bild und Buch: Die Bestimmung der Fotografie zum Druck (Rez. Monika Faber und Hanna Schneck (Hg.): Foto. Buch. Kunst: Umbruch und Neuorientierung in der Buchgestaltung. Österreich 1840–1940, Wien: Schlebrügge.Editor 2019)
(S. 52/53)
Christoph Schaden
Lob der Form: Die Alfred Ehrhardt Stiftung wagt sich an eine werkmonografische Eigenveröffentlichung (Rez. Christiane Stahl und Stefanie Odenthal für die Alfred Ehrhardt Stiftung (Hg.): Alfred Ehrhardt. Fotografien, Berlin: Alfred Ehrhardt Stiftung 2019)
(S. 54/55)
Andreas Kesberger
Der Farbtaumel auf dem „blinden Fleck“: Kombinatorische Fotografie – 1972 (Rez. Alfons Eggert und Stephan Sagurna (Hg.): Kombinatorische Fotografie – 1972. Apparative Kunst, Algorithmen und Abstraktion. Betrachtungen zu einem blinden Fleck der Fotografiegeschichte, Münster: Nonkonform 2018)
(S. 56/57)
Neu eingegangen
Zeitschriftenauswertung
Fortbildung
Call for Papers
Ankündigungen
Termine
IMPRESSUM
ABSTRACTS
JEFF WALLS „THE GIANT“
ALS LESE(R)FANTASIE
Jeff Walls „The Giant“ (1992) verfremdet die Fotografie der Odegaard Undergraduate Library in Seattle, Washington. Ein altes Märchenmotiv – der Riese (selten allerdings weiblich) –, ein Sujet der Genremalerei – die lesende Frau –, und die Bildgattung der Architekturfotografie schießen darin zusammen. Damit öffnet sich ein komplexes Spiel der Beziehungen, das vom Dokumentarischen über die Allegorie und surreale Imagination bis in eine Metareflexion der Medien reicht. Literatur (Baudelaire) und Malerei (Magritte) spiegeln sich in der surrealistischen Collage des Letzteren als Fälschung. Das paradoxerweise kleine Leuchtkastenbild Walls ruft diese Tradition auf und feiert seinerseits in einer posthumoresken Volte die Fusion von Reportage, Fantasie und Philosophie.
SUBSTANZ UND
BILD DER LANDSCHAFT
Ökokritische Impulse und geo-ästhetische Dimensionen im Werk des mexikanischen Gegenwartsfotografen Fernando Cordero
Der Beitrag behandelt das epistemische Potenzial gegenwärtiger Landschaftsfotografie am Beispiel des Werks von Fernando Cordero (*1958), mexikanischer Landschafts- und Architekturfotograf, dessen analog aufgenommene Bilder das Nachdenken über die Zivilisationsschäden im Anthropozän anregen. Seine neoromantischen Bildkompositionen stellen die extremen Kollisionen zwischen der in den zentralmexikanischen Bergketten manifesten ‚deep time‘ der Geologie und den kurzlebigen infrastrukturellen Produkten der Zivilisation – wie etwa oberirdischen Gas-Pipelines – heraus, sie definieren Fotokunst als ‚Geo-Grafie‘ und profilieren Bergwelten als umweltpolitische ‚Tatorte‘. Corderos geo-ästhetisches Werk zeigt die produktive Umwandlung von krisenhaften Landschaftseindrücken in kritische Fotografie, die zu einer „Intensivierung von Wirklichkeit“ (Cassirer) in der gegenwärtigen Medienlandschaft führt.
SCHICHTÜBERTRAGUNGEN
Ein Erfahrungsbericht über die Behandlung von Acetatnegativen
Fotoarchive und -sammlungen auf der ganzen Welt müssen sich mit der Zerstörung von Acetatnegativen durch das sogenannte Essigsäuresyndrom befassen. Als Fotokonservator habe ich mich viele Jahre lang mit diesem Thema beschäftigt und reichlich Erfahrung in der Wiederherstellung degradierter Acetatnegative gesammelt. Das Verfahren, bei dem die Gelatineemulsionsschicht vom Acetatträger gelöst und auf einen neuen Polyesterträger übertragen wird, ist ungefährlich für das Bild, verhältnismäßig schnell und kostengünstig. Ziel ist es, das Originalbild – Bildinformationen wie auch Größe – zu sichern oder wiederherzustellen. Ich habe über zehntausend Negative wiederhergestellt und möchte diesen effizienten Ansatz für die Bearbeitung einer großen Anzahl an Objekten teilen.
STADTGESCHICHTE
ALS BILDGESCHICHTE
Zur Ausstellung eines Bestands fotografischer Bürgerporträts des 19. Jahrhunderts im Stadtmuseum Dresden
Im Rahmen der Ausstellung „Die im Licht steh’n. Fotografische Porträts Dresdner Bürger des 19. Jahrhunderts“ wurde im Stadtmuseum Dresden ein Fotobestand aus den Gründungsjahren des Hauses erstmals erforscht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die sogenannte ‚Sammlung Richter‘, benannt nach dem Gründungsdirektor des Hauses Otto Richter (1852–1922), wurde von den Kuratoren Wolfgang Hesse und Holger Starke sowohl unter stadtgeschichtlichen als auch unter fotohistorischen Gesichtspunkten betrachtet. Im Vordergrund standen Fragen nach dem Sammlungskonzept und nach dem Bild, das durch die Auswahl der Porträtierten und die Art und Weise der fotografischen Repräsentation von Stadt und Bürgertum vermittelt wird. Das Projekt, das in einem umfangreichen Begleitbuch dokumentiert ist, zeichnete sich durch eine gründliche Re
cherche, einen ebenso reflektierten wie differenzierten Zugang und eine überlegte Präsentation aus.
DIE ZEITSCHRIFT „FOTOGRAFIE“
ALS PLATTFORM
EINES FOTOGRAFISCHEN NEUBEGINNS
Zur Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Die Historisierung und Vermessung der künstlerischen Fotoszene „um 1980“ ist seit 2014 kuratorisches Thema. Während das Braunschweiger Ausstellungsprojekt „Schöne Neue BRD? Autorenfotografie der 1980er Jahre“ politische Leitlinien einer Neuverortung der künstlerischen Dokumentarfotografie in der Bundesrepublik Deutschland und die lose Verknüpfung unterschiedlicher Zentren und Akteure präsentierte, zeigte das Museum Ludwig in Köln mit „Um 1979. Unbeugsam und ungebändigt“ die internationale Veränderung des ‚Dokumentarischen‘ auf. Museum Folkwang, C/O Berlin und Sprengel Museum Hannover widmeten sich 2016 mit „Werkstatt für Photographie 1976–1986“ in einem dreiteiligen Ausstellungsprojekt mit unterschiedlichen Schwerpunkten einer für diesen Aufbruch maßgeblichen Institution und deren Schlüsselfiguren. 2019 nun erinnert die Hamburger Ausstellung „Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980“ an einen weiteren und zudem fast vergessenen Protagonisten und bietet erste Einblicke in die von Schulz herausgegebene Zeitschrift „Fotografie“.
ENGLISH ABSTRACTS
JEFF WALL’S “THE GIANT”
AS A READER’S FANTASY –
OR A FANTASTIC INTERPRETATION
Jeff Wall’s “The Giant” (1992) alienates a photograph of the Odegaard Undergraduate Library in Seattle, Washington. Here, an old fairytale theme (the giant [albeit rarely a female one]), a woman reading (a genre painting theme), and the pictorial genre that is architectural photography blend in this piece. This makes for a complex interplay of relationships ranging from the documentary to the allegorical, and from imagination all the way to meta-reflection on the media. Literature (Baudelaire) and painting (Magritte) are reflected as fakes in the surrealistic collages of Magritte. Wall’s paradoxically small lightbox image invokes this tradition, celebrating, for its part, in a post-humoresque volte, a fusion of reportage, fantasy and philosophy.
SUBSTANCE AND
IMAGE OF THE LANDSCAPE
Ecocritical Elements and Geo-Aaesthetic Dimensions in the Work of Contemporary Mexican Photographer Fernando Cordero
This article examines the epistemic potential of contemporary landscape photography, taking as its example the work of Fernando Cordero (born in 1958), a Mexican landscape and architecture photographer, whose analog photographs provoke reflection on the damage caused by civilization in the Anthropocene. Cordero’s neo-romantic pictorial compositions highlight the extreme clashes between the ‘deep time’ manifested in the central Mexican mountain ranges as described in geology and the short-lived infrastructural products of civilization – such as above-ground gas pipelines. They define photographic art as ‘geo-graphy’ and profile mountain regions as eco-political ‘crime scenes’. Cordero’s geo-aesthetic work shows the productive transformation of his impressions of crisis-stricken landscapes into critical photographs, resulting in an “intensification of reality” (Cassirer) in the present-day media landscape.
TRANSFERRING THE PELLICLE
An Experience Report on the Remedial Treatment of Acetate Negatives
Photographic archives and collections all over the world need to deal with the deterioration of acetate negatives due to the so-called ‘vinegar syndrome’. As a photograph conservator, I have tackled this conservation issue for many years and have gained much expierence in the recovery of deteriorated acetate negatives. The method of lifting the gelatin emulsion layer from the acetate base and transferring it to a new polyester base is safe for the image, relatively quick and cheap. The goal is to restore or secure the original image, information and size. I have recovered over ten thousand negatives and would like to share this efficient approach to deal with large numbers of objects.
URBAN HISTORY AS PICTORIAL HISTORY
On the Exhibition of a Set of Photographic Portraits of 19th Century Citizens at Stadtmuseum Dresden
As part of the exhibition “Die im Licht steh’n. Fotografische
Porträts Dresdner Bürger des 19. Jahrhunderts” (Those
Who Stand in the Spotlight. Photographic Portraits of 19th
Century Citizens of Dresden) at Stadtmuseum Dresden a photographic portfolio dating from the founding years of the institution has been researched and made available to the public for the first time. The collection, known as ‘Sammlung Richter’ and named after the museum’s found-
ing director Otto Richter (1852–1922), was examined by curators Wolfgang Hesse and Holger Starke, taking into account both the history of the city and the history of photography. The focus was on questions relating to the concept behind the collection, to the impression conveyed by the
selection of persons portrayed as well as the kind of photographic representation of the city imparted. The project, which has been documented in a comprehensive book, is distinguished by its thorough research, its approach, which is both well-considered and discriminating, and its well-thought-out presentation.
THE PERIODICAL “FOTOGRAFIE” AS A PLATFORM FOR A NEW DEPARTURE BY PHOTOGRAPHY
On the Exhibition at Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
The historicization and surveying of the artistic photography scene “around 1980” has been a curatorial theme since 2014. Whereas the exhibition “Schöne Neue BRD? Autorenfotografie der 1980er Jahre” (Brave new FRG? Autorenfotografie in the 1980s) in Braunschweig presented political parameters for recategorizing artistic documentary photography in the Federal Republic of Germany and the loose linking of different centers and actors, with “Um 1979. Unbeugsam und ungebändigt” (Around 1979. Unyielding and Unrestrained), Museum Ludwig in Cologne highlighted the international changes in the notion of the ‘documentary’. In 2016, with “Werkstatt für Photographie 1976–1986” (Workshop for Photography 1976-1986), Museum Folkwang, C/O Berlin and Sprengel Museum Hannover directed their attention, in a three-part exhibition project with various emphases, towards one institution and its key fig-ures that played a crucial role in this change of direction. Now, in 2019, the exhibition in Hamburg, “Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980” (Wolfgang Schulz and the Photography Scene around 1980) reminds us of yet another such protagonist, one that has now, moreover, pretty well been consigned to oblivion, offering initial insights into “Fotografie”, the periodical edited by Schulz.