EINZELAUSGABE
Vol. 23 (2016)
No. 2 [N.F. 90]
Inland € 29,75
Ausland € 31,75
Editorial
Inhalt
Vol. 23 (2016), No. 2, N.F. 90
FEHL AM PLATZ? In der Photothek des Kunsthistorischen Instituts in Florenz – Max-Planck-Institut befindet sich eine Fotografie, die dort eigentlich nicht hingehört.
Das Motiv ist an sich nicht unge-
wöhnlich: Sie zeigt einen älteren,
auf einem Stuhl mit aufwendig geschnitzter Rückenlehne sitzenden Herrn.
KULTURERBE VERNETZT Der „Bildindex der Kunst und Archi-tektur“ ist eine Bilddatenbank zur Dokumentation des baulichen und künstlerischen Erbes und dient der kunst- und kulturwissenschaftlichen Forschung.
Editorial
Christian Bracht
Zur Notwendigkeit von Standards und dem fruchtbaren Regelbruch
(S. 1)
Inhalt
Ein BildCostanza Caraffa
Fehl am Platz? Ein Dichterporträt in einem Archiv fotografischer Kunstreproduktionen (S. 4–7)
Mediengeschichte
Rolf H. Krauss
Der fotografische Akt um 1900: Ein Medienphänomen (S. 8–19)
DATENBANKENChristian Bracht
Kulturerbe vernetzt: Die Verbunddatenbank „Bildindex der Kunst und Architektur“ (S. 20–32)
ERSCHLIESSUNGVolker Janke und Thomas Helms
Fotoalben und ihre digitale Erschließung: Ein Praxisbericht
(S. 33–42)
Forschung
René Senenko
Gegen Faschismus, Kriegsgefahr
und Kapital: Ein Postkarten-Projekt (S. 49–55)
BERICHTE
Kurt Deggeller
„Seid umschlungen, Millionen!“:
Das fotografische Kulturerbe in
der Schweiz (S. 43–48)
LITERATURRezensionen
Rolf Sachsse
Der volle Wagen: Eine Geschichte der Fotografie vor Henri Bergsons „Le rire“ (Rolf Sachsse) (S. 56–58)
Neu eingegangen
Zeitschriftenauswertung
PERSONALIA
DGPh: Kunstvermittlung in Buchform – Der Verleger Lothar Schirmer erhält den DGPh-Kulturpreis 2016 (S. 60)
DGPh: Prof. Rolf Nobel erhält den Dr.-Erich-Salomon-Preis 2016
(S. 60)
FORTBILDUNG
Call for Papers
Ankündigung
Termine
EINGESANDTE MANUSKRIPTE
IMPRESSUM
ANzeigen
ABSTRACTS
DER FOTOGRAFISCHE AKT UM 1900
Ein Medienphänomen
Die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert markiert einen wichtigen Zeitpunkt in der Geschichte der Aktfotografie. Die gerade erfolgte Erfindung der Autotypie macht den gemeinsamen Druck von Bild und Text möglich mit der Folge, dass das Buch und die Zeitschrift zu neuen Präsentationsmedien werden. Eine Fülle von einschlägigen Veröffentlichungen erobert den Markt. Ein synchroner Schnitt vor diesem Hintergrund zeigt, dass der fotografische Akt in jenen Jahren besonders ausgeprägt in vier Bereichen Bedeutung hat. Zunächst wie bisher, aber auslaufend, als Vorlage für Künstler, dann als Anschauungsmaterial für Anatomen und Anthropologen, weiter als Gegenstand der Kunstfotografie und schließlich in Verbindung mit der Lebensreformbewegung.
KULTURERBE VERNETZT
Die Verbunddatenbank „Bildindex der Kunst und Architektur“
Der „Bildindex der Kunst und Architektur“ ist eine Bilddatenbank zur Dokumentation des baulichen und künstlerischen Erbes und dient der kunst- und kulturwissenschaftlichen Forschung. Mit über 2 Millionen fotografischen Bildern zu Werken der Bau- und Kunstgeschichte in den europäischen Ländern und benachbarten Regionen ist der „Bildindex“, der seit 1999 zur kostenlosen Benutzung online ist, eines der weltweit größten und führenden Fachportale. Trägereinrichtung ist das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg (DDK) an der Philipps-Universität Marburg, das auch die Satellitenprodukte „Digitaler Portraitindex“, das Handschriftenportal „Manuscripta Mediaevalia“sowie das jüngste, voraussichtlich 2017 online gehende „Graphikportal“ betreibt. Marktgängige Softwaresysteme ermöglichen es, sowohl etablierte Standards der Fachdokumentation als auch internationale technische und semantische Standards umzusetzen und geläufige Metadatenformate wie LIDO zu nutzen.
FOTOALBEN UND IHRE DIGITALE ERSCHLIESSUNG
Ein Praxisbericht
In der über hundert Jahre währenden Sammeltätigkeit des Freilichtmuseums für Volkskunde Schwerin-Mueß haben sich umfängliche Bildbestände – bestehend aus etwa 70 000 fotografischen Objekten – angehäuft. Zunächst als Instrument der Illustration für wissenschaftliche Publikationen, Vorträge und die Lehre angeschafft und genutzt, blieb die Inventarisierung jedoch lange Zeit den besonders bemerkenswerten Objekten wie wertvollen Daguerreotypien, prächtigen Fotoalben oder gerahmten Fotografien vorbe-
halten. Die Masse der Aufnahmen war dagegen weder inventarisiert noch in einer fotografischen Sammlung zusammengeführt. Vielmehr befanden sie sich als Beilagen in Archivbeständen, die nach einer eigenen Systematik abgelegt waren. Die Bilder waren lediglich nach einem – meistens dem offensichtlichen – Hauptmotiv oder durch aufwendige Verweisungen auffindbar. Erst die Digitalisierung des Bildmaterials ermöglicht auch eine digitale Bildverwaltung mit effektiven Erschließungsmöglichkeiten. Im Bildarchiv des Freilichtmuseums für Volkskunde Schwerin wurde in den letzten zehn Jahren – neben der Verbesserung der Aufbewahrungsbedingungen – ein Arbeitsablauf zur Tiefenerschließung fotografischer Sammlungen erarbeitet, der am Beispiel von Fotoalben vorgestellt werden soll.
„SEID UMSCHLUNGEN, MILLIONEN!“
Das fotografische Kulturerbe in der Schweiz
Gemäß einer im Auftrag von Memoriav – Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz erstellten, breit angelegten Studie und Hochrechnung des Fotobüros Bern beläuft sich das Schweizer Fotoerbe auf über 67 Millionen Bilder. Davon befinden sich rund 50 Millionen Bilder an öffentlich zugänglichen Standorten (Museen, Archiven, Ämtern/Dokumentationsstellen und Bibliotheken) und über 17 Millionen sind noch in der Hand Dritter (Fotografen-Archive und Nachlässe, Amateurbestände, Firmenarchive und private Sammlungen). Schätzungen, die auf den im Online-Nachschlagewerk fotoCH (<www.foto-ch.ch>) verzeichneten 14 000 Fotografinnen und Fotografen sowie wissenschaftlichen und privaten Sammlungen beruhen, gehen indes davon aus, dass landesweit seit 1839 weit über 140 Millionen Fotografien entstanden sind.
Weiterhin zeigt die Studie, dass rund 75 % des fotografischen Erbes, das sich in öffentlichen Institutionen und Einrichtungen der Schweiz befindet, noch nicht bearbeitet, d.h. registriert, inventarisiert und gesichert wurden. Ausgehend von einem Kostensatz von CHF 1,50 bis 2,00 pro Foto bedürfte es der Studie nach Finanzen in Höhe von CHF 55 bis 74 Millionen, entsprechend ca. EUR 51 bis 67 Millionen, die von Bund, Kantonen und Kommunen in den kommenden Jahren zu tragen wären.
GEGEN FASCHISMUS, KRIEGSGEFAHR UND KAPITAL
Ein Postkarten-Projekt
Unter dem Dach der Willi-Bredel-Gesellschaft, einer der zahlreichen in Hamburg ansässigen Geschichtswerkstätten, hat sich ein Projekt etabliert, das sich der Sammlung und Dokumentation politischer Postkarten der Zwischenkriegszeit 1919 bis 1939 widmet. Erfasst werden Postkarten, die sich unter dem Projekttitel „Gegen Faschismus, Kriegsgefahr und Kapital“ einordnen lassen. Damit sind keineswegs nur die dekorativen Maipostkarten gemeint, die in Geschichtsbüchern und einschlägigen Ausstellungen häufig die revolutionsromantischen Farbtupfer bilden. Die Projektmacher wollen sich von einer verklärenden Wahrnehmung des Massenmediums Postkarte entfernen und Motivkarten als historische Quellen in einem umfassenden Sinn rekonstruieren. Der Beitrag stellt das Vorhaben, das noch einige Jahre andauern wird, vor und lädt zur Mitarbeit ein. Einen vorläufigen Überblick gibt die Website <www.proletcard.info>.
ENGLISH ABSTRACTS
THE PHOTOGRAPHIC NUDE AROUND 1900
A Media Phenomenon
The turn of the 20th century marks an important date in the history of nude photography. The recent invention of the halftone relief process made the joint printing of image and text possible, with the result that books and magazines became new forms of presentation. As a result, a great number of such publications conquered the market. A concurrent dissection of these publications indicates that the photographic nude of that period was especially significant in four areas: first, as previously, but phasing out, as a model for artists; then as a visual aid for anatomists and anthropologists; further as subject of artistic photography; and finally in connection with the Life Reform movement.
HERITAGE NETWORK
The Fused Database ‘Image Index of Art and Architecture’
The Image Index of Art and Architecture is a cross-collection image database for the documentation of architectural and artistic heritage that is meant to serve art and cultural science studies. With over
2 million photographic images relating to works of art and architectural history in Europe and neighbouring regions, the Image Index is one of the world’s largest and leading specialized web portals. It has been online since 1999, and its use is free of charge. It is supported by the German Documentation Center for Art History – Bildarchiv Foto Marburg (DDK) at the Philipps-Universität Marburg, which also operates the satellite products ‘Digital Portrait Index’, the manuscript portal ‘Manuscripta Mediaevalia’ and the new ‘Graphics Portal’, which is expected to go online in 2017. Commonplace software systems make it possible to implement established standards of subject-specific documentation, international technical and semantic standards as well as the use of common metadata formats such as LIDO.
DIGITAL INVENTORY OF PHOTO ALBUMS
A Field Report
In more than one hundred years of collecting at the Open-Air Museum of Folklore in Schwerin-Mueß, extensive image holdings – around 70,000 photographic objects – have been amassed. The photographs were initially acquired as a means of illustration for scientific publications, lectures and teaching. Inventory efforts were, for a long time, reserved for the more noteworthy objects such as precious daguerreotypes, magnificent photo albums or framed photographs. The bulk of the images was therefore neither inventoried nor merged into a cohesive photographic collection. Instead, the photographs were regarded as addendums to archive holdings that were organised following their own system. The pictures could only be found through the – usually obvious – main motif or a system of complex references. Only the digitisation of the photographic material permits a digital image management system with effective inven- tory options. During the last ten years, a workflow for the in-depth inventory of photographic collections was developed and the storage conditions were improved at the picture archive of the Open-Air Museum of Folklore in Schwerin. The digitization and inventory processes will be described by example of photo albums.
‘BE EMBRACED, MILLIONS!’
The Photographic Heritage of Switzerland
According to a comprehensive and extrapolative study, commissioned by Memoriav (Association for the Preservation of the Audio-visual Heritage of Switzerland) to the Fotobüro Bern, the Swiss photographic heritage amounts to over 67 million images. Of these, around 50 million images are held by publicly accessible institutions (museums, archives, public offices or documentation centres, and libraries) and over 17 million are held by third parties (photographers’ archives and estates, amateur holdings, company archives, and private collections). However, estimates based on the online reference tool fotoCH (<www.foto-ch.ch>), which lists 14,000 photographers as well as academic and private collections, indicate that far more than 140 million photographs have been taken throughout the country since 1839.
The study also reveals that around 75% of the photographic heritage that is located in institutions and organizations in Switzerland has not yet been processed, so registered, inventoried and preserved. Based on a cost of CHF 1.50 to 2.00 per photo, the federal, cantonal and communal authorities would need to spend CHF 55 to 74 million, or approximately EUR 51 to 67 million, on this in the coming years.